Das Erschließungsprojekt zum Verlagsarchiv Gebauer-Schwetschke

Die geschlossene Überlieferung des Verlagsarchives einer Firma vom Rang der Unternehmen Gebauer, Hemmerde, Hemmerde & Schwetschke sowie Gebauer-Schwetschke einschließlich Verlagskorrespondenz, Manuskripte, Rechnungsbücher und diverse weitere betriebswirtschaftliche Unterlagen stellt ohne Frage einen äußerst glücklichen Ausnahmefall dar. Auf weitere Sicht bietet der Bestand aussagekräftige, in der wissenschaftlichen Forschung bislang noch unbekannte Materialien zu wesentlichen Problemstellungen der Aufklärungsforschung, zur Erforschung der Geistes- und Lebenswelt des 18. und 19. Jahrhunderts sowie der in dieser entscheidenden Umbruchphase erfolgten gesellschaftlichen Wandlungen, aufgrund seiner Vollständigkeit und der repräsentierten Zeitspanne vom 18. bis ins 20. Jahrhundert auch in weiträumiger und längerfristiger Perspektive.
 

Dank der Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft von Juli 2010 bis September 2013 war es möglich, die Überlieferung zum 18. und frühen 19. Jahrhundert vollständig zu erschließen, in der Archivdatenbank zu verzeichnen und so für die Internetrecherche frei verfügbar zu machen. Die wissenschaftliche Koordination und institutionelle Einbindung des Projektes lag dabei in den Händen desInterdisziplinären Zentrums für die Erforschung der Europäischen Aufklärung  der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg in Kooperation mit der Buchwissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München und dem Stadtarchiv Halle. Neben der inhaltlichen Verzeichnung wurden sämtliche Dokumente als Eigenleistung des Stadtarchivs Halle digitalisiert und die Digitalisate mit den zugehörigen Datensätzen verknüpft.

Wesentliches Anliegen des Projektes in weiterer Perspektive war und ist die übergreifende Vernetzung, um eine nachhaltige und fruchtbare Ausschöpfung des vielfältigen wissenschaftlichen Verwertungspotentials dieses umfangreichen Bestandes zu gewährleisten. Inzwischen sind Verlage, nicht zuletzt Dank der Initiative der Historischen Kommission des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, im Umgang mit ihren Verlagsarchiven zunehmend sensibilisiert und geben diese Materialien an öffentliche Institutionen ab, wo diese sorgfältig erschlossen und der Forschung zur Verfügung gestellt werden. So befinden sich die Verlagsarchive des Göttinger Wissenschaftsverlages Vandenhoeck & Ruprecht sowie des Berliner Verlags Friedrich Nicolai in der Staatsbibliothek Berlin oder das Verlagsarchiv des Philosophieverlags Felix Meiner in der Universitätsbibliothek Leipzig. Selbsverständlich kann das im Stadtarchiv Halle aufbewahrte Verlagsarchiv Gebauer-Schwetschke als herausragendes Beispiel in diese Aufzählung eingereiht werden. Die Historische Kommission des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels plant eine Aufstellung und Verlinkung aller Institutionen im deutschsprachigen Raum, die Verlagsarchive aufbewahren. Die Ergebnisse der Erschließung des Verlagsarchivs Gebauer-Schwetschke werden dauerhaft über die zentrale Zusammenstellung auffindbar sein, zugleich werden durch die so geschaffene Übersicht Querverbindungen und wechselseitige Ergänzungen zwischen den verschiedenen Beständen nachvollziehbar.

Aufgrund der weitreichenden geschäftlichen Verbindungen des Firmenkonsortiums Gebauer-Schwetschke im 18., 19. und frühen 20. Jahrhundert kann dessen Unternehmensnachlass als wichtiger Baustein in diesem Panorama angesehen werden. Ein Überblick der weiträumigen Streuung des Kontaktnetzes der Firmen Gebauer, Hemmerde und Schwetschke unterstreicht diesen außerordentlichen Stellenwert. Das Übergewicht der Geschäftsverbindungen der genannten Unternehmen lag eindeutig in den Buchhandelszentren der mittel- und norddeutschen Gebiete wie dem nahe gelegenen Leipzig, Dresden, Berlin, Jena, Weimar, Erfurt, Göttingen, Braunschweig, Hamburg oder Bremen, darüber hinaus bestanden jedoch vielfältige Kontakte in die südwestdeutschen Territorien des Reichsbuchhandels wie Hessen, Schwaben, Bayern und Franken, insbesondere in Standorte wie Frankfurt am Main, Gießen, Stuttgart, Tübingen, Bamberg, Nürnberg, Erlangen und Regensburg zu den dort ansässigen bedeutenden Verlags- und Buchhandelsfirmen oder in die Schweiz, insbesondere nach Zürich, St. Gallen, Basel, Bern und Genf. Eine außerordentlich wichtige Rolle spielten daneben die Kontakte in die schlesischen Buchhandelszentren Breslau, Liegnitz, Glogau und Züllichau, in die nordosteuropäischen Gebiete Polen-Litauens, Ostpreußens und die baltischen Ostseeprovinzen bis nach Russland, insbesondere in Buchhandelszentren wie Stettin, Danzig, Königsberg, Riga, Reval und St. Petersburg, oder in die Territorien der Habsburgermonarchie nach Böhmen und Mähren, Ungarn und Österreich, in die dortigen Buchhandelszentren Prag, Preßburg, Pest und natürlich Wien. Außerdem sind umfangreiche Geschäftsverbindungen nach Holland in Buchhandelszentren wie Amsterdam, Utrecht, Leiden oder Den Haag, ins Elsass und nach Frankreich, nach Italien oder auch nach England zu nennen.
Die Erschließung und Auswertung des Verlagsarchivs Gebauer-Schwetschke ermöglicht einen Nachvollzug der Entwicklung, Intensivierung und Verlagerung dieser Kontakte im Zuge der wirtschaftlichen Globalisierung und gesellschaftlich-technologischen Modernisierung.